Rant: Zurück aus dem Land der lächelnden Steckdose

Zwei Wochen Urlaub liegen hinter mir und meiner Familie. Der klassische Familientrip in ein Ferienhaus nach Dänemark, also alles das, was kleine Kinder und die Mutter dazu benötigen. Und der Vatta natürlich auch. Der Sohn freut sich auf die Wikinger, die Frau auf den Garten und die Tochter auf ständig andere Sachen, Spielplätze und so.

Entspannend, wirklich. Auch die in der 1. Woche nicht vorhandene Sonne mit den daraus resultierenden 15° Celsius im Holzhaus und dem Versuch, den Kamin anzuschmeißen, wurde in der zweiten Woche durch Hitze kompensiert.
Wir waren an der Nordspitze Dänemarks. Nicht ganz, aber immerhin in Nordjütland. Skagen, Grenen und Sæby alle ungefähr 60-90 Minuten Fahrt entfernt. Ist wichtig für diesen Text, um alles in Verbindung zu bringen, wenn ich mich gleich in Rage schreibe. Und außerdem möchte ich euch auch nicht mit touristischen Eindrücken nerven.

Urlaub ist Urlaub. Jeder definiert das für sich anders. Als Freiberufler ohne Sekretär/in kann man entweder völlig alles Eingehende blockieren, komplett gar keinen Urlaub machen oder einen Mittelweg gehen. Meine Entscheidung ist die letzte. Sprich, Autoresponder angeschaltet und dennoch Mails gecheckt und alles nicht wirklich wichtige liegengelassen. Unbekannte Anrufe auf die Mailbox gelotst und hinterher abgehört. Funktioniert. Echt jetzt. Und hält den Stress zu Hause, wenn man auf der Autobahn auf dem Rückweg schon an die Inbox denkt.

Die digitale Vorbereitung

Die einzige Vorbereitung, die mich in Rage bringt ist, dass ich meinem Provider trotz zwei wirklich teurer Mega-Super Verträge (die ich wirklich benötige) auch noch 20,- Tacken hinblättern muss, damit ich alle meine Flats (Telefonie und Daten) auch wirklich mitnehmen darf. Auch dies benötigte ich, da ich mir einen Hotspot aufbauen wollte und musste. Technisch funktioniert das, aber es ist immer noch wenig europäisch gedacht.
Dass unser Haus im tiefsten Jütland (gefühlt vergleichbar mit Ostfriesland) überhaupt UMTS bekäme, darüber machte ich mir keine Gedanken auf Grund der bisherigen Skandinavien Erfahrungen. Mein Roaming blockierte mir jedoch LTE, das flächendeckend zur Verfügung gestanden hätte. Nochmal: Kein LTE im Ausland via Roaming. Sei’s drum.

(Die Betriebstemperatur des Autors wird so langsam erreicht…)

In zwei Fällen habe ich einen längeren Upload machen müssen. Kein Problem, denn in Dänemark sind nahezu überall offene WiFis zu finden. Im Supermarkt, an der Tankstelle, im Hafenbereich, ja selbst in Kirchen und Schwimmbädern, am Strand und sogar im Moor. Überall machte es Pling und es gab freie Netze. Meine Wahl für diese Uploads fiel auf die kleine aber feine Touristeninfo in unserem Örtchen. Dort setzte ich mich auf eine Couch, klappte den Rechner auf, tippte das Passwort ein („sususuperliga!“) und….

Boom!

War das jetzt ein Scherz? Ein Down- und Upstream, der einem das Pipi in die Augen schießen ließ. Das war so unfassbar schnell, dass ich auf die Schnelle gar nicht dazu kam, es zu messen. Nachdem ich 10 Minuten dort saß, kam die freundliche Mitarbeiterin und bot mir sogar noch einen Gratis-Kaffee an. So muss es gehen. Für den Dänen keine große Überraschung. Für den Digitalarbeiter aus Deutschland ein Halluja wert.

Die Sache mit dem Geld.

Ich war wirklich schon häufig in Skandinavien. Island, Dänemark, Schweden und Norwegen sind mir nicht unbekannt. Aber gerade in den vergangenen Jahren hat sich einfach viel getan und weiter entwickelt. Bereits vor zig Jahren hatten die alten Nokia 3310 Knochen unserer isländischen Freunde die Möglichkeit, über das Mobilfunknetz und einer speziellen Firmware Erweiterung die Möglichkeit, sich Plätze im Kino in Akureyri reservieren zu lassen. Während bei uns Handys noch was „für wichtige Menschen“ war. (Typischer damaliger Ruf-Reflex bei einem Klingeln in der näheren Umgebung: „Kaufen kaufen kaufen!“) Entsprechend der Skandinavien Erfahrungen war mir schon bewusst, welche Bedeutung das bargeldlose Zahlen in Dänemark hat. Eine hohe. Was aber macht der typische Dänemark-Tourist wie meinereiner? Er sucht am ersten Tag einen Geldautomaten und wundert sich, dass dieser kaum zu finden ist. Dänemark plant anscheinend, das Bargeld abzuschaffen.
Folgt man den Angaben, so wird nur noch ein Viertel der Zahlungsvorgänge mit Bargeld durchgeführt. Dafür gibt es nahezu an jedem, wirklich jedem Point-Of-Sale einen digitalen Kartenschlucker, der einem als erstes in den Blick kommt. Wie eine Geisterhand scheint er sich in Richtung Geldbörse auszustrecken. (Eine Ausnahme: Beim von den Protagonisten selbst als „Rentnerhobby“ genannten liebevollen und besuchswürdigen Projekt Mini-Sæby gab’s von uns die letzten Münzen aus dem Portemonnaie. Und es fehlten sogar noch 50 Öre…)

Die Kartenzahlung selbst dauert nur wenige Sekunden. Per PIN selbstverständlich. Aber den muss man als deutscher Kreditkarten Inhaber erst mal haben.
V-Pay? Klar, PIN ist da. Maestro? Klar, auch PIN. Sind alles Debit-Karten und da kommt der PIN meist mitgeliefert. Aber bei VISA oder Mastercard? (Wenn ich an dieser Stelle berichten würde, welchen Aufwand ich betreiben musste, um überhaupt eine Kreditkarte für mein Geschäftskonto zu bekommen… Es bedurfte eines gemeinsamen Junggesellenabschieds, bei dem ich zufällig mit dem Vertriebschef meiner Bank in einem Auto saß.) Die mitleidsvoll anschauenden Verkäuferinnen und Verkäufer mussten sich stets die Ausdrucke, dass bei den von mir verursachten Zahlungen eine Unterschrift („Signature? Really? Ah, yes, German card.“) notwendig sein würde. Den Höhepunkt der Erniedrigung erlebte ich dann, als wir nach einer Woche wirklich kein Bargeld mehr hatten und ich es dem vor mir in der Supermarktkassenschlange stehenden Mann nachmachen wollte:

Summe aufrunden und von der Kassiererin Bargeld mitnehmen

Wir probierten vier Karten aus, alle auf unterschiedlichen Systemen. Es ging nix. Mal ein „tekniske fejl“, mal andere Abbrüche. Bis dann wieder der Blick kam: „Ah, we have these problems only with German cards. Sorry.“
Eine ähnliche Erfahrung dann beim Eintritt ins Wikingerdorf Fyrkat bei Hobro. Erst die letzte Karte ging dann. Zitat des Kassierers, man kann es sich denken: „We have these problems from time to time, but only with German cards.“

In Dänemark wird nahezu alles per Karte gekauft.

Brötchen, Benzin (direkt an der Zapfsäule), Fährfahrten und Parktickets, Einkäufe im Supermarkt, Eintritte. Das macht das Leben einfacher. Was macht der Deutsche? Er denkt an Sicherheit und an Bewegungsprotokolle, die ja zweifelsohne wichtige Faktoren sind. Aber diese deutsche Denke verhindert den Fortschritt und verkrampft den Umgang mit der Realität in Europa.

Irgendwann ging der Urlaub dann wieder zu Ende. Kurz hinter Grenze auf schleswig-holsteinischem Gebiet: Das Telefon schaltete in den Edge-Modus, die Straßen wurden schlecht, die Autofahrer drehten wieder am Rad und meine Kreditkarte wurde zum Statussymbol. Der Bezahlvorgang an der Tanke dauerte zwei Minuten, weil die Verbindung zum Server nicht sofort aufgebaut war. Dann aber natürlich auch mit Unterschrift, die die Kassiererin dann auch noch seeeehr genau überprüfte. Dann schrieb sie die Höhe der Tankrechnung mit Kuli und Uhrzeit auf eine bereits gut gefüllte Liste mit ähnlichen Einträgen. Man weiß ja nie…

Warum ich Dänemark und Skandinavien sonst noch so mag?

Es ist die alltägliche Gelassenheit. Alles geht. Irgendwie. Unter anderem auch wegen der ganzen Alltags-Hacks. Es ist schon fast symbolisch, aber nahezu alle Steckdosen lächeln. Ja, sie lächeln einen an. Als ob sie sagen möchten, hier sei alles schön. Und anders. Und vor allem mehr so 2015.
Stimmt, aber nicht ganz. Kurz bevor wir vor Ort waren, fanden in Dänemark Wahlen statt und die rot-grüne Regierung wurde durch eine Minderheitsregierung abgelöst. Unser Urlaubsziel Jütland war dabei den Berichten zufolge ziemlich ins rechte Lager gewandert. Dazu aber in ein paar Tagen mehr.

Dänische Alltag-Hacks

  • An jedem Ortseingang und im Ortsgebiet befinden sich auf die jeweiligen Geschwindigkeitslimits angepassten Bumper. Diese ziehen sich überall durch. Ich habe dadurch seit Jahren nicht einen Raser erlebt. Man kann einfach nicht schneller fahren.
  • Nahezu alles im Alltag wird einem Kunden, einem Touri oder einem Mitbürger einfach gemacht. Ob es das Bezahlen des Tankvorgangs per App ist oder die selbstverständlichen Hinweise auf die gerade im Kopf befindlichen Fragen.
  • Überall befinden sich Hashtags unter denen man sich informieren kann oder soll, wenn man mal nicht weiter weiß. (Beispiel: der „mythologische Spielplatz“ im Wikingerdorf. Jedes Spielgerät hatte unterschiedliche mythologische Bedeutung, die man sich kurz per Anruf oder Link anhören und durchlesen konnte. Digitales Storytelling für die Eltern auf dem Spielplatz. Großartig!)
  • Neben dem Pfandflaschen Retour-Automaten befinden sich große Klappen für die Flaschen, die eben keinen Pfand haben und weggeschmissen werden können. Bei uns stehen sie dann einfach davor. Vom obligatorischen Spenden-Knopf rede ich erst gar nicht. Dieser war an jedem von mir berührten Automaten, und nicht bloß von einer Supermarktkette.
  • 35 Menschen beim Bäcker? Kein Problem. In klassischer Skandinavien Manier werden Nummern gezogen. Bis man eben dran ist. Alles der Reihe nach. Sehr sympathisch. Und in der Zwischenzeit gibt’s Gratis-Kaffee und die Kids können im Spielbereich warten.
  • Sowieso, Kids: Überall hat man sich auf Kinder eingestellt. Kinder gehören dazu. Keiner schaut blöd, wenn das Glas Wasser umgeschmissen ist oder die Eiskugel auf den Boden fällt. So viele Kugelbäuche wie vor Ort habe ich lange nicht gesehen. Dänemark scheint zu wachsen. Gefühlt.
  • Jede Raststätte ist mit Elektroaufladestationen für E-Mobile ausgerüstet. Sinnvoll, denn man sieht sie wirklich auf den Straßen. Zwar noch nicht flächendeckend, aber sie fallen auf. Und so viele Teslas wie in diesen zwei Wochen habe ich zusammen noch nicht entdeckt.
  • Diese Liste ließe sich leicht fortführen… Und dabei bin ich noch gar nicht bei gesellschaftlichen oder sozialpolitischen Aspekten angekommen.

Quintessenz

Vorhin kam eine Facebook Werbung rein und ich erlag dem Kaufdrang. In Kürze wird dieses schicke Teil meine Tasche füllen. Ich versuche es einfach. Mal so ohne Bargeld. Oder mit nur einem Schein in der Tasche. Vermutlich werde ich schon an der ersten Tasse Kaffee im Coffeeshop scheitern. Einen doppelten Espresso per Karte zahlen? Dort wo ich gerade sitze, während ich das hier tippe? Unvorstellbar.
Mag sein, dass diese Blickweise etwas euphorisch oder einseitig klingt. Sicherlich nicht alles wird da oben gut sein und ich befinde mich auch immer noch in Urlaubsstimmung. Aber das hier soll ja polarisieren und keine wissenschaftliche Auseinandersetzung sein. Aber wie kann es sein, dass man nach Hause kommt und erst mal so gar nichts wirklich besser findet? Und das liegt auch an der Mieterhöhung im Briefkasten. (Vielen Dank dafür. Nicht.)

Mal ehrlich, was passiert in diesem unseren Land?

Der Tobi rief mich vorhin noch an und berichtete von einer TV-journalistischen (!) Kollegin, die sich immer noch gegen diesen Smartphone-Hype wehrt. Man müsse ja nicht alles mitmachen. Und ihr altes Handy täte es ja auch noch. Willkommen zurück!
Wer oder was hat uns eigentlich in Bezug auch Technologie und Digitales so verkrampft gemacht? Wo kommen all die unfähigen Entscheidungsträger her, die Verantwortung im Bereich der digitalen Infrastruktur übernehmen müssten. Wieso fehlt das völlige Verständnis im Bildungswesen, von den Leuchttürmen einmal abgesehen? Warum schmunzelt man über Blogartikel wie diesen hier und stellt dann fest, dass diese Realsatire leider echt ist?
Wir verpassen den Anschluss, wenn wir es nicht schon längst haben. Im Breitbandausbau, in der digitalen Kommunikation, beim digitalen Fortschritt. Zum „Leistungsschutzrecht“ äußere ich mich schon gar nicht mehr. Denn dieses verkörpert alles, was bei uns schief läuft und beschreibt perfekt und systematisch die gesellschaftliche Fehlstellung. Die Netzneutralität wird torpediert. (Mobiler) Netzzugang ist teuer. Deutschland ist – Zitat Lobo – „digitally failed state“. Gestern kam das komplette Totalversagen des Staats heraus. Die NSA hat über Jahrzehnte das Bundeskanzleramt flächendeckend ausgespäht. Nicht, dass das verwunderlich wäre oder so eine neue überraschende Information. Aber die Obmenschen des NSA-Untersuchungsausschusses gehen vor die Kamera und fordern eine bessere Sicherheit in der Kommunikation der staatlichen Einrichtungen. Ach. Das hatte doch Herr Pofalla ad acta gelegt. Abgehakt, weitergemacht, gibt nichts aufzuklären.
Kind #1 kommt bald in die Schule. Wenn ich mich damit gedanklich beschäftige, dann wird mir schlecht.

Kollege Peter berichtet vorhin von einem Kurztrip ins Baltikum. Dort war ich noch nicht. Ist vielleicht besser so. Denn auch dann schießt mir wieder Pipi in die Augen.

Dänemark? Könnte eine Alternative sein.

Deutschland, pass auf, dass Dir Deine Leute nicht weglaufen. Wir waren in Dänemark und auch bei den Wikingern. Einige Menschen führten in der krassesten Mittagssonne auf dem Fyrkat-Gelände „Krig!“. Mit Tauziehen, Axtkampf und Hinkelsteinweitwurf und das alles in voller Montur. Das wirkte alles schon sehr archaisch. Dass ich mir in Europa mal wie der letzte Wikinger vorkommen würde, hätte ich nicht gedacht.
Bei der Frage nach einem abschließenden musikalischen Highlight kam ich zum Kraftfuttermischwerk und den 1000 guten Gründen von den Hosen. Mir fiel dann noch BAP ein („Wir sind widder wer.“). Hängen geblieben bin ich aber bei den Sternen.


Glück auf. Oder so.